150 Jahre Diabetes-Therapie im Schnelldurchlauf

Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie das Leben mit Diabetes ablief, bevor eine Behandlung mit Insulin möglich war? Oder wie die Therapie in den 1960er und 1970er Jahren umgesetzt wurde, als die Bestimmung des Blutzuckerwerts ausschließlich im Labor erfolgte? Unsere Gastautoren Anja und Werner Neumann vom Diabetesmuseum München geben Ihnen im Folgenden einen Einblick in 150 Jahre Diabetes-Therapie. Für die 1940er bis 1980er Jahre gilt: Die Darstellung fokussiert auf der Geschichte der Diabetes-Therapie in der Bundesrepublik, für die zeitlichen Abläufe in der ehemaligen DDR gilt vieles nur sehr stark eingeschränkt.

Medaille August Krogh mit Insulinampulle
© Diabetesmuseum München
Medaille August Krogh mit Insulinampulle

Am 4. April 1868 berichtet die Allgemeine Medicinische Central-Zeitung über einen 20-jährigen Mann, bei dem im März 1866 die Zuckerkrankheit manifestiert wurde. Man behandelte ihn mit täglichem Dampfbad, Lebertran, Morphium, Brechwurzel und einer zuckerfreien Diät. Der Patient verstarb am 1. Oktober 1866. Zum Erhalt des Lebens gab man zu dieser Zeit zusätzlich eine Reihe von Nährsalzen oral und rektal zum Teil in großen Gaben. Die Ernährung bestand aus reichlich Fett und Alkohol. Kohlenhydrate wurden reduziert bis ganz weggelassen.

1922 kommt zum ersten Mal Insulin in die gebeutelten Hände der Betroffenen. Plötzlich wird das langfristige Überleben mit Diabetes Typ 1 möglich. Mit der Glasspritze wird dieses Mittel ins Unterhautfettgewebe gespritzt. Dies ist der einzige Weg, da das Insulin durch die Magensäure vollständig wirkungslos gemacht wird. Das schnellwirksame Insulin – zu diesem Zeitpunkt gibt es kein Verzögerungsinsulin – wird zum Essen gespritzt. Alle Forscher, die damit zu tun haben, geben diese Erfahrung an ihre Patienten so weiter.

Die Industrie reinigt Mitte bis Ende der 1930er die Insuline und setzt Stoffe zu, die eine verzögernde Wirkung haben. Dadurch wird die Diabetes-Therapie umgestellt. Die DiabetikerInnen spritzen nun nur noch zweimal am Tag. Ein strenger Zeitplan mit fixen Spritz- bzw. Essenszeiten zwingt alle in ein Korsett. Jegliche Zuckerspeisen sind verpönt. Die Lockerung dieser Vorschriften erfolgt erst Anfang bis Mitte der 1980er Jahre durch engagierte Patientengruppen, die Hilfe für diese Umstellung in der Ärzteschaft vorfinden. Sie kehren zu den Ursprüngen zurück und beginnen, wieder zum Essen zu spritzen. Eine Mehrfachspritzung, genannt ICT, wird so über den Tag durchgeführt. Mitte der 1990er Jahre wird die Ernährung bei Typ-1-Diabetes vollumfänglich bei Berechnung der Kohlenhydrate freigegeben.

Spritzbestecke
© Diabetesmuseum München
Spritzbestecke

Die Handhabung der Spritzen war damals aufwändig: Die Glasspritze wird mindestens zweimal die Woche komplett zerlegt und ausgekocht. Alle gereinigten Bauteile liegen anschließend im Alkohol, damit es zu keiner Verkeimung kommt. Die Spritzennadeln müssen von Zeit zu Zeit geschliffen werden, damit sie wieder gut stechen. Die Glasspritze wird Ende der 1960er Jahre durch Einwegplastikspritzen ersetzt. Das Sterilisieren entfällt seitdem. Insulinpens, mechanische Spritzhilfen, kommen ab 1985 auf den Markt. Sie sind die Fortentwicklung der Spritze und beinhalten zusätzlich auch das Insulin selbst.

Für manche ist der Stoffwechsel trotz Mehrfachinjektionen nur schwer kontrollier- und einstellbar. Für diese Personenkreise werden Anstrengungen gemacht, sie dauerhafter zu versorgen. Eine Grundlage besteht hier durch die großen Spritzenautomaten in den Krankenhäusern. Diese werden nun immer kleiner, genauer und elektronisch aufbereitet und so zu Insulinpumpen weiterentwickelt. 1985 hatten die Akkus eine Laufzeit von maximal vier Stunden. Die Basalrate, sprich die24 Stunden-Versorgung, stellte der Arzt ein. Seitdem ist viel passiert: Heute regelt die Insulinpumpe eines amerikanischen Herstellers mit Hilfe der Zuckerüberwachung die Insulinzufuhr bei evtl. Unterzucker völlig selbstständig nach eingestellten Parametern.

Reflomat und Reflectance Meter
© Diabetesmuseum München
Reflomat und Reflectance Meter

Seit der Antike wird die Zuckerhöhe fast ausschließlich über den Harn bestimmt. Diese konnte sich allerdings nicht dauerhaft durchsetzen, da die Harnblase ein Sammelgefäß darstellt, in dem sich über einen längeren Zeitraum unterschiedlich konzentrierte Harnzuckerwerte mischen, bis sie zur Auswertung kommen können. Nach und nach erfolgte dann die Umstellung auf Blutzuckermessung, doch auch hier gibt es große Unterschiede: Werden heutzutage bei einer Blutspende etwa 450 ml entnommen, benötigt man um 1900 für eine einzige Blutzuckermessung im Labor 250 ml Blut.

In den folgenden Jahren vermindert sich die Menge drastisch, auf heute etwa 0,0005 ml. Blutzuckermessen mit einem Teststreifen wird ab Mitte der 1980er Jahre gebräuchlich. Die Geräte benötigen anfangs oftmals noch 220 Volt und die Auswertung dauert zwei Minuten. Es ist allerdings überhaupt nicht garantiert, dass die Krankenkassen die Preise zwischen 500,-- bis 800,-- DM erstatten. Leider hat sich an der Erstattungsproblematik bis heute nichts geändert, wenn man die neuen Testmethoden wie CGM und FGM heranzieht. Die Ergebnisse aus den Messungen dieser Geräte ermitteln die Sensoren aus dem Zellwasser. Eine zeitliche Verzögerung der Messwerte gegenüber der herkömmlichen Blutzuckerbestimmung ergibt sich aus der Zeit, die der Zucker bis in diese Körperflüssigkeit braucht.

Eine wichtige Untersuchungsmethode der Labordiagnostik sollte nicht unerwähnt bleiben, die Bestimmung des Langzeitzuckers, der seit den 1980er Jahren ermittelt wird. Der sogenannte HbA1c beschreibt hier Zeiträume bis zu drei Monaten.

Möchten Sie mehr erfahren zu Geschichte der Diabetes-Therapie? Dann besuchen Sie die Website des Diabetesmuseums München, wo es viel Spannendes zu entdecken gibt.