Diabetes und Beruf

Expertenchat mit Dr. Kurt Rinnert

Am 19. März 2020 findet der Experten-Chat zum Thema "Diabetes und Beruf" mit Dr. Kurt Rinnert statt. Er beantwortet Ihre Fragen live am Donnerstag zwischen 17:00 und 19:00 Uhr.

Dr. Kurt Rinnert, Köln
Dr. Kurt Rinnert, Köln

Dr. med. Kurt Rinnert

Protokoll der Sprechstunde

Betreff: Diabetes und Beruf

Daniel D. fragt: 

Hallo,

ganz allgemein: gibt es Berufe die man als Diabetiker nicht ausüben kann oder nicht ausüben sollte ? Ich frage nur, denn wenn ein Typ 1ser z.b. nicht regelmäßig die Zeit oder die Möglichkeit hat sich zu testen, stellt das ein Handicap dar ? Kann eine Diabeteserkrankung vielleicht auch ein Grund sein das man einen Job NICHT bekommt , und ein gesunder Mensch bevorzugt wird ? Ist man überhaupt verpflichtet bei einer Vorstellung seine Diabetes gegenüber dem Arbeitgeber anzugeben ?

Viele Grüße

Daniel

Dr. med. Kurt Rinnert antwortet: 

Hallo Daniel,

das ist eine gute Frage, die mich seit vielen Jahren bewegt und ich habe mich damit intensiv befasst. Aus meiner Sicht gibt es, insbesondere durch die neuen Therapiemethoden und vor allem die revolutionäre Diabetes-Technologie zukünftig keine Berufe oder Tätigkeiten mehr, die von Menschen mit Diabetes ohne relevante Begleit- und Folgeerkrankungen nicht ausgeübt werden können. Damit habe ich habe schon zwei Einschränkungen eingebaut. Aktuell gibt es noch eine Menge Vorschriften, die Menschen mit Diabetes den Zutritt zu Berufen verwehren. Als Beispiel nenne ich den Beruf des Piloten für Passagiermaschinen. In vielen Ländern können Typ-1er diesen Job bereits machen, in Deutschland ist dies noch verboten. Aber ich bin zuversichtlich, dass diese Barrieren und Diskriminierungen in wenigen Jahren aufgehoben sind. Denn Menschen mit Diabetes können diese Jobs genauso sicher durchführen wie andere auch, das haben die Untersuchungen der letzten Jahre gut zeigen können. Genutzt wurden dabei natürlich auch die moderne Diabetestechnologie mit der kontinuierlichen Glukosemessung, was auch Ihre Fragen der Möglichkeit der Testung beantwortet. Auch die BZ-Messung stellt in der Regel kein Handicap mehr dar.

Das andere Problem sind die Begleit- und Folgeerkrankungen. Auch hier zeigen die Studien über die letzten 20 Jahre, dass durch die bessere Behandlung die Risiken deutlich zurückgegangen sind und damit auch die Lebenserwartung von Menschen mit Diabetes deutlich gestiegen ist. Das führt zu der Frage, ob man seinen Diabetes gegenüber dem Arbeitgeber bekannt geben muss. Dazu habe ich eine klare Meinung. Im Bewerbungsverfahren oder im Vorstellungsgespräch hat die Diagnose "Diabetes mellitus" nichts zu suchen. Einerseits, weil dort gar nicht nach Diagnosen gefragt werden darf, zum anderen aber auch, weil es in den Köpfen vieler Mitmenschen immer noch Vorbehalte oder Vorurteile gegenüber Menschen mit Diabetes gibt. Sollte man jedoch von vornherein wissen, dass man aufgrund der Schwere der Erkrankung selbst oder der Therapienebenwirkungen die Tätigkeit nur eingeschränkt ausüben kann, muss man das erwähnen. Tipp: bei Unsicherheit kann man diese Frage aber auch noch später mit dem Betriebsarzt im Rahmen einer Vorsorge besprechen, die man ggf. auch selbst auf Wunsch ("Wunschvorsorge") veranlassen kann. Eine betriebsärztliche Betreuung muss im Übrigen jeder Betrieb sicher stellen.

Herzliche Grüße

Kurt Rinnert

Betreff: Diabetes und Beruf

Tanja E. fragt: 

Guten Tag,

ich wollte mich informieren, was sind die besten Anbieter für Berufsunfähigkeitsversicherungen) Ich habe mich ein bisschen auf ( versicherung-aktuell.net/berufsunfaehigkeitsversicherung-vergleich/ ) umgeschaut, aber vielleicht haben Sie Erfahrungen, auf was ich da achten muss?

Herzliche Grüße Tanja

Dr. med. Kurt Rinnert antwortet: 

Sehr geehrte Frau E.,

ich muss zugeben, dass ich bei der Beantwortung dieser Frage befangen bin, da ich bei der Entwicklung der neuesten BU, speziell für Menschen mit Diabetes, mitgeholfen habe. Ich zitiere kurz aus der Pressemitteilung vom 06.02.2020:

"Eine Berufsunfähigkeitsversicherung war für Diabetiker bisher kaum möglich. In der Regel fehlte es an speziellen Gesundheitsfragen und differenzierten Risikoprüfungen. Langwierige Annahmeprozesse waren die Folge. Wurde in seltenen Fällen dann doch eine Zusage zur Absicherung erteilt, waren die Versicherungsbeiträge für die Kunden teils unbezahlbar. Grundlage für die innovative Produktgestaltung und die Risikobewertung sind vor allem die medizinischen und technischen Fortschritte der letzten Jahre sowie der enge Kontakt zu beratenden Diabetologen.

Das neue Angebot richtet sich insbesondere an gut eingestellte Typ-1-Diabetiker, die nicht rauchen und die ihre jährliche Kontrolluntersuchung bei ihren Diabetologen wahrnehmen. Nach Vertragsabschluss sind erneute Gesundheitsprüfungen während der Laufzeit nicht erforderlich.

Das Highlight der neuen DIABETES-BU ist eine zusätzliche Bonusrente. Diese beträgt bis zu 30 Prozent der versicherten Rente und wird immer dann gewährt, wenn die Patienten den jährlichen Check-up bei ihrem Arzt einhalten.

Innerhalb des intelligenten Absicherungskonzepts wird neben einem hohen Produktstandard dafür gesorgt, dass die Versicherungsbeiträge moderat bleiben. Hierfür werden sämtliche Kosten minimiert und die Prämie auf einem attraktiven Niveau gehalten."

Wichtig ist bei diesem online-Produkt, dass Sie Ihre Angaben ohne Nennung Ihrer personenbezogenen Daten eingeben können und den Versicherungsbeitrag erkennen können. Die Versicherung hat damit keine persönlichen Informationen von Ihnen, Sie können aber die Konditionen mit anderen Versicherungen vergleichen. 

Herzlichen Grüße

Kurt Rinnert

Betreff: Diabetes und Beruf

Karsten fragt: 

Lieber Herr Dr. Rinnert,

ich bin 49 Jahre alt, seit zwei jahren Diabetiker Typ 2, männlich und übe seit ca 30 Jahren meinen Beruf als Berufskraftfahrer aus. Vor ca 2 Monaten hat sich mein Gesundheitszustand derart verschlechtert das ich seitdem Krank geschrieben bin. Mein Hba1 Wert lag bei 11,9 und meine Blutzuckerwerte sind konstant zwischen 250 und 400. Ich habe etwas Sehprobleme (kann die Straßenbreite nicht mehr richtig einschätzen) und Taubheitsgefühl/Kribbeln in Händen,Armen und Beinen. Mein Augenarzt sagte er könne an den Sehproblemen im Moment nicht ändern da die Blutzuckerwerte einfach zu hoch sind. Einen Termin beim Neurologen habe ich nächste Woche. Diabetikerschulung hatte ich letzte Woche aber bei den Werten tut sich nichts. Ich nehme morgens und Abends je eine Siofor 1000 Tablette und Spritze drei Mal Täglich vor dem Essen 26 Einheiten Humalog und Morgens/Abends jeweils 20 Einheiten Basal Insulin. Mein Diabetologe meint es könne eine Insulin Resistenz sein und ich soll deshalb eine Haferflocken Kur machen. So nun mein Problem: Diabetologe und Hausarzt sagen nach dieser Woche alles gut wieder Arbeiten gehen Werte sind Konstant (hoch). Augenarztermin aber erst im April bekommen und Neurologe steht noch aus. Das Straßenverkehrsamt hat aber von der Geschichte "Wind" bekommen und die sagen dass ich kein LKW Fahren darf erst wenn meine Werte 3 Monate OK sind die wollen meinen Führerschein einziehen!! Was mache ich dann der Arzt sagt Arbeiten das Straßenverkehrsamt sagt nein erst nach eingehender Prüfung und Gutachten. Fast Nebensächlich ist das ich meinen Job verliere! Aber wie sieht es mit Krankengeld aus, wenn die Ärzte sagen ich kann Arbeiten aber mir aufgrund der Krankheit der Führerschein entzogen ist? Können Sie mir eine Einschätzung geben, was ich nun tun soll, bzw. welche Möglichkeiten ich habe?

Mit freundlichen Grüßen Karsten

Dr. med. Kurt Rinnert antwortet: 

Hallo Karsten,

nach Ihren Angaben liegt tatsächlich aktuell eine Fahruntauglichkeit, da die Sehfähigkeit erheblich beeinträchtigt ist und auch das Taubheitsgefühl bzw. das Kribbeln in Händen und Armen und Beinen das Führen eines Kraftfahrzeugs nicht zulässt. Dies sieht wohl die Fahrerlaubnisbehörde auch so und schützt Sie und die anderen Verkehrsteilnehmer vor Schäden. Die Einschränkung gilt vorerst auch für PKW. Die Bewertung von Hausarzt und Diabetologen kann ich daher anhand der vorliegenden Informationen nicht nachvollziehen.

Als weiteren Ansprechpartner zu den Fragen der Arbeitsfähigkeit ist der Betriebsarzt zu fragen. Dieser unterliegt der Schweigepflicht und kann die tätigkeitsbedingten Risiken am besten beurteilen. Man kann den Betriebsarzt auch während der Krankschreibung zu einer Beratung aufsuchen. Da jeder Betrieb ab einem Mitarbeiter in Deutschland eine betriebsärztliche Betreuung sicher stellen muss,  sollte auch Ihnen ein solcher Service von Ihrem Betrieb zur Verfügung gestellt werden. Fragen Sie einfach danach. Der Betriebsarzt berät Sie auch zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement, das Ihnen der Betrieb nach mehr als 30 Tagen Arbeitsunfähigkeit anbieten muss.

Eine anerkannte Schwerbehinderung ist verbunden mit einem besonderen Kündigungsschutz. Sollte der Betriebe keinen Betriebsrat und keinen Schwerbehindertenbeauftragten haben, kann der Betriebsarzt Sie auch zu Fragen der Schwerbehinderung beraten, die bei Ihnen nach den vorliegenden Angaben anzunehmen ist. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob bei Ihnen über die Rentenversicherung Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gewährt werden können. In diesem Zusammenhang sind auch Unterstützungen für den Arbeitgeber möglich. Außerdem ist zu prüfen, ob für Sie eine Rehabilitationsmaßnahme geeignet ist. Auch hierzu kann Sie der Betriebsarzt, der Hausarzt, der Diabetologe oder die Rentenversicherung beraten. Als weitere Möglichkeit - vor einer Erwerbsminderungsrente - bietet sich eine berufliche Rehabilitation an. Dies wird im Rahmen der "normalen" medizinischen Rehabilitation zu prüfen sein.

Auf jeden Fall sollten Sie sich jetzt unverzüglich zu diesen vielfältigen Möglichkeiten zum Erhalt Ihrer Arbeitsfähigkeit beraten lassen - ein einfaches "weiter so" wäre die schlechteste Lösung. Selbstverständlich ist eine bessere Stoffwechseleinstellung aber die Voraussetzung für alle weiteren Bemühungen.

Herzliche Grüße

Kurt Rinnert

Betreff: Diabetes und Beruf

Klaudia fragt: 

Hallo Herr Dr. Rinnert,

anlässlich der Coronakrise hat mein Arbeitgeber Kurzarbeit angemeldet. Welche Rechte habe ich als Diabetikerin? Gibt es jetzt Dinge, die ich beachten muss?

Danke und Gruß Klaudia

Dr. med. Kurt Rinnert antwortet: 

Hallo Klaudia,

die Coronakrise beschäftigt uns alle ganz ordentlich und es ist für mich als Arzt aktuell schon schwer genug, medizinisch Bedingungen, Abläufe und Konsequenzen einigermaßen richtig einzuschätzen. Die personalrechtlichen Folgen der Epidemie sind vielfältig und ändern sich aktuell nach meinem Kenntnisstand fast täglich. Daher kann ich Ihnen nur raten, Ihre Rechte als Behinderte oder Schwerbehinderte zu nutzen. Lassen Sie sich dazu von Ihrer Schwerbehindertenvertretung, dem Personal- oder Betriebsrat oder auch Ihrer Betriebsärztin oder dem Betriebsarzt beraten.

Herzliche Grüße

Kurt Rinnert

Betreff: Diabetes und Beruf

Manuela R. fragt: 

Guten Tag,

ich arbeite im medizinischen Bereich – bin Krankenpflegerin und habe Diabetes Typ 2. Jetzt meine Frage: Habe ich besondere Möglichkeiten, mich freizustellen, da ich ja zur Risikogruppe zähle? Viele Grüße Manuela

Dr. med. Kurt Rinnert antwortet: 

Guten Tag Frau R.,

in diesen Zeiten kann man sich im medinischen Bereich tatsächlich nichts wichtigeres wünschen als einen guten Tag. Diabetikerinnen und Diabetiker gehören nach den Verlautbarungen des Robert-Koch-Instituts in der Tat zu den Risikogruppen, wie z. B. auch Menschen, die über 60 Jahre alt sind. Dennoch sollte man Menschen, die zu diesen Risikogruppen gehören, nicht kategorisch das Arbeiten verbieten. Gerade im medizinischen Berufen unterstützen aktuell viele Rentnerinnen und Rentner die überlasteten Ambulanzen und Gesundheitsämter - und wir sind sehr froh darüber.

Auf der anderen Seite kann es personenbezogene Besonderheiten geben, die dazu führen, dass die Arbeit eine besondere Belastung darstellt und damit ein inakzeptables Risiko für die Beschäftigten bedeutet. Dies ist aber zunächst einmal mit dem Hausarzt oder Facharzt zu klären, da hier die Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie, gerade auch durch die Aktualisierung im Hinblick auf die Corona-Epidemie, die Möglichkeit der Krankschreibung bietet.

Fazit: aus meiner Sicht keine generelle Freistellung von Menschen mit Diabetes im Rahmen der Corona-Epidemie, auch nicht in medizinischen Berufen, aber Abklärung von personenbezogenen besonderen Risiken mit Prüfung der Arbeitsfähigkeit unter den aktuell besonderen Bedingungen.

Herzliche Grüße

Kurt Rinnert

Betreff: Diabetes und Beruf

Anja L. fragt: 

Guten Tag,

ich bin Schulsozialarbeiterin und soll eventuell in der Notbetreuung für Schülerinnen und Schüler eingesetzt werden, sofern weitere Mitarbeiter/-innen der Betreuung erkranken sollten. Laut Robert-Koch-Institut besteht bei Diabetikern ein erhöhtes Risiko für einen schweren Covid-19-Krankheitsverlauf. Als Diabetikerin macht mir das große Sorge. Erschwerend kommt hinzu, dass ich 50 bin. Laut Robert-Koch-Institut ist das ein weiterer Risikofaktor. Kann mein Arbeitgeber von mir verlangen, dass ich die Notfallbetreuung übernehmen muss? Über eine Rückmeldung würde ich mich sehr freuen. Vielen Dank für Ihre Bemühungen.

Mit freundlichen Grüßen

Anja Langenscheid

Dr. med. Kurt Rinnert antwortet: 

Sehr geehrte Frau L.,

Ihre Frage betrifft aber zunächst einmal das Arbeitsrecht, zu dem ich keine Stellung nehmen kann. Hier wäre zu klären, ob der Arbeitgeber die Möglichkeit hat, Ihnen diese Arbeit zuzuweisen. Medizinisch gilt das Gleiche, das ich auch bei einer ähnlicher Fragestellung schon gesagt habe. Diabetikerinnen und Diabetiker gehören nach den Verlautbarungen des Robert-Koch-Instituts in der Tat zu den Risikogruppen, wie z. B. auch Menschen, die über 50 oder 60 Jahre alt sind. Dennoch sollte man Menschen, die zu diesen Risikogruppen gehören, nicht kategorisch das Arbeiten verbieten. Gerade im medizinischen und sozialen Berufen unterstützen aktuell auch viele Menschen über 50 Jahre, aber auch Rentnerinnen und Rentner die überlasteten Einrichtungen.

Auf der anderen Seite kann es personenbezogene Besonderheiten geben, die dazu führen, dass die Arbeit eine besondere Belastung darstellt und damit ein inakzeptables Risiko für die Beschäftigten bedeutet. Dies ist aber zunächst einmal mit dem Hausarzt oder Facharzt zu klären, da hier die Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie, gerade auch durch die Aktualisierung im Hinblick auf die Corona-Epidemie, die dann ggf. Möglichkeit der Krankschreibung bietet. Aus meiner Sicht gibt es keine generelle Freistellung von Menschen mit Diabetes im Rahmen der Corona-Epidemie, aber es sollte eine Abklärung von personenbezogenen besonderen Risiken mit Prüfung der Arbeitsfähigkeit unter den aktuell besonderen Bedingungen erfolgen.

Herzliche Grüße

Kurt Rinnert

Betreff: Jobwechsel

Sandra C. fragt: 

Hallo, ich fange am 01.04.2020 eine neue Stelle an. Im Bewerbungsgespräch habe ich nichts über meinen Typ 1 Diabetes gesagt. Der neue Arbeitgeber weiß also nichts vom Diabetes. Meine Frage ist nun: ich werde in einer kleinen Gruppe arbeiten, ist es besser den Diabetes nicht öffentlich zu machen? Zumindest bis die Probezeit um ist? Oder lieber offen sein? Bisher bin ich immer offen mit dem Thema umgegangen, hatte meine aktuelle Stelle aber schon lange inne, als der Diabetes diagnostiziert wurde. Jetzt mache ich mir Sorge, dass mir der Diabetes negativ ausgelegt wird und ich dadurch schlechter bei der Probezeit abschneide.

Dr. med. Kurt Rinnert antwortet: 

Hallo Frau C.,

das ist eine kniffelige Frage. Einerseits bin ich immer für Transparenz, gerade bei den Fragen zur beruflichen Eignung von Menschen mit Diabetes. Denn Diabetikerinnen und Diabetiker haben nichts zu verstecken, einige Sachen machen sie sogar besser als Menschen ohne Diabetes, z. B. nach meinem Kenntnisstand weniger Verkehrs- und Arbeitsunfälle. Außerdem wissen die meisten Kolleginnen und Kollegen gar nicht, dass sie mit Diabetikern zusammen arbeiten - weil es eben in der Regel keine Probleme am Arbeitsplatz durch und für Menschen mit Diabetes gibt. Und ich bin auch sehr optimistisch, dass Menschen mit Diabetes in Zukunft ALLE Berufe ausüben können, sofern keine besonderen Probleme durch Begleit- und/oder Folgeerkrankungen auftreten. Außerdem kann eine Offenheit gegenüber den Kolleginnen und Kollegen in einem Notfall sehr hilfreich sein.

Und nun kommt das ABER: wenn Sie das Team noch nicht kennen, rate ich zur Beobachtung des Teams bezüglich des Umgangs mit chronischen Erkrankungen. Wie sind also die Haltungen der Kolleginnen und Kollegen, aber auch der Vorgesetzten gegenüber Menschen mit Behinderungen? Wird das Thema "Inklusion" auch als Thema für den Betrieb oder das Team erkannt und umgesetzt. Oder gibt es doch noch "Scheuklappen"  im Denken? Wenn diese Fragen - und dazu braucht es schon etwas Zeit - positiv beantwortet werden können, sollte frau oder man es durchaus wagen, offen mit dem Thema umzugehen. Diese Zeit ist oft identisch der Probezeit, denn die Probe gilt ja für beide Parteien. Kurz und knapp: ja, ich würde in dieser Konstellation die Probezeit abwarten.

Herzliche Grüße

Kurt Rinnert

Betreff: Beruf und Diabetes

Anna T. fragt: 

Guten Tag Herr Rinnert,

mich beschäftigt die Frage, welche Empfehlung Sie im Bezug auf Diabetes / Corona und Arbeit haben. Ich arbeite in der Kinder- und Jugendhilfe. Homeoffice oder eine Schließung ist nicht möglich. Das RKI hat ausdrücklich besonderen Schutz für Risikogruppen (u.a. Diabetes) ausgesprochen. Mein Arbeitgeber hat allgemeine Richtlinien bezüglich Abstand und regelmäßiges Händewaschen empfohlen. Ich wünsche mir in Bezug auf meine Vorerkrankung besonderen Schutz. Wie stehen sie zu dem Thema? Haben sie einen Tipp für mich?

Dr. med. Kurt Rinnert antwortet: 

Sehr geehrte Frau T.,

da sich die Fragestellungen im Chat nun wiederholen, was ich im Zeichen der Coronakrise sehr gut verstehen kann, erlauben Sie mir, auf meine Beantwortungen ähnlicher Fragen zurückzugreifen.

Diabetikerinnen und Diabetiker gehören nach den Verlautbarungen des Robert-Koch-Instituts in der Tat zu den Risikogruppen, wie z. B. auch Menschen, die über 50 oder 60 Jahre alt sind. Dennoch sollte man Menschen, die zu diesen Risikogruppen gehören, nicht kategorisch das Arbeiten verbieten. Gerade im medizinischen und sozialen Berufen unterstützen aktuell auch viele Menschen über 50 Jahre, aber auch Rentnerinnen und Rentner die überlasteten Einrichtungen.

Auf der anderen Seite kann es personenbezogene Besonderheiten geben, die dazu führen, dass die Arbeit eine besondere Belastung darstellt und damit ein inakzeptables Risiko für die Beschäftigten bedeutet. Dies ist aber zunächst einmal mit dem Hausarzt oder Facharzt zu klären, da hier die Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie, gerade auch durch die Aktualisierung im Hinblick auf die Corona-Epidemie, die dann ggf. Möglichkeit der Krankschreibung bietet. Aus meiner Sicht gibt es keine generelle Freistellung von Menschen mit Diabetes im Rahmen der Corona-Epidemie, aber es sollte eine Abklärung von personenbezogenen besonderen Risiken mit Prüfung der Arbeitsfähigkeit unter den aktuell besonderen Bedingungen erfolgen.

In Ihrer Frage werden aber auch die geeigneten Hygienemaßnahmen besonderes angesprochen. Hier gibt es neben den persönlichen Maßnahmen vor allem technische und organisatorische Maßnahmen, die das Risiko minimieren können. Hier helfen auch die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts weiter. Dazu sollten Sie unbedingt die im Betrieb bzw. Ihrer Einrichtung zuständigen Fachleute direkt anfragen, nämlich die Fachkraft für Arbeitssicherheit und die zuständige Betriebsärztin bzw. den Betriebsarzt. Ggf. ist dabei auch die so genannte Gefährdungsbeurteilung anzupassen und geeignete Maßnahmen zum besseren Schutz der Beschäftigen abzuleiten und umzusetzen. Hier erbringen alle Beteiligte aktuell enorme Anstrengungen, die die Belastbarkeit der Einzelnen zur Zeit oft überschreiten und manchmal zur kurzfristigen Improvisation zwingen. Am Ende muss aber Ihre Sicherheit und Gesundheit selbstverständlich gewährleistet werden.

Herzliche Grüße

Kurt Rinnert

 

Betreff: Seediensttauglichkeit

Laura N. fragt: 

Sehr geehrter Dr. Rinnert,

schon seit vielen Jahren möchte ich nach meinem Studium für einige Zeit in der Gästebetreuung an Bord eines Schiffes arbeiten. Nach meiner Typ 1 Diagnose im letzten Jahr beschäftigt mich daher nun die Frage, ob ich die für diese Tätigkeit benötigte Seediensttauglichkeitsbescheinigung trotzdem erhalten würde?

Vielen Dank für Ihre Antwort

Dr. med. Kurt Rinnert antwortet: 

Hallo Frau N.,

Ihre Angaben sind nicht präzise genug. Daher versuche ich eine Antwort. Dazu nutze ich das Kapitel "Beurteilung der Seediensttauglichkeit bei Menschen mit Diabetes" aus dem Handbuch der Arbeitsmedizin vom ecomed-Verlag:

Die ehemalige Zuordnung von Seeschiffen zu u.g. Fahrgebieten war sehr griffig und wird daher hier zur Beschreibung des Fahrtbereiches verwendet:

  • Große Fahrt – weltweite Schifffahrt zum Transport von Personen und Gütern
  • Mittlere Fahrt – Schifffahrt außerhalb der Kleinen Fahrt, zu europäischen Häfen und nichteuropäischen Häfen des Mittel-, Schwarzen Meeres, westafrikanischen Häfen bis 12° nördliche Breite und den Häfen der Kap Verden, Kanaren und Madeiras
  • Kleine Fahrt – Schifffahrt in deutschen Gewässern, gesamte Ostsee und Nordsee bis 61° nördlicher Breite

In der „Kleinen Fahrt“ existieren Arbeitsplätze an Bord, die ggf. auch für einen Menschen mit Diabetes geeignet sein könnten: z. B. Seebäderschiffe, Behördenfahrzeuge, Fähren mit relativ gleichförmigen Belastungen durch den Fahrtbetrieb und planbaren Belastungsspitzen, z. B. bei Instandsetzungs-/Konservierungsarbeiten. Insbesondere wenn nur Tagesfahrten durchgeführt werden, kann die Anbindung an die Infrastruktur an Land (Ärzte, Apotheken, Rettungsdienste, individuelle Lebensmittelversorgung) die Gewähr dafür bieten, dass die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Komplikationen wie eine Hypoglykämie auf ein akzeptables Maß gesenkt oder diese Komplikationen mindestens mit professioneller Hilfe zeitnah und mit nur begrenzten Störungen des Betriebes bewältigt werden.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass für Personen mit Diabetes die Randbedingungen, die eine Beschäftigung an Bord vertretbar erscheinen lassen, in der weltweiten Fahrt (Großen Fahrt) in allen Dienstzweigen eher selten angetroffen werden. Schiffe mit schiffsärztlichem Personal (z. B. Kreuzfahrtschiffe) erscheinen aufgrund ihres Besatzungsumfanges und der medizinischen Versorgungsmöglichkeiten geeignet, auch Diabetiker als Besatzungsangehörige an Bord zu nehmen. Die pauschale Zuordnung einer Seedienstuntauglichkeit bei Personen mit Diabetes mellitus ist daher nicht gerechtfertigt (Rinnert u. Neubauer 2019).

Herzliche Grüße

Kurt Rinnert