Neue Leitlinie: Typ-1-Diabetes bei Kindern

Eine Frau und ihr junger Sohn in einer Arztpraxis. Die Ärztin hält einen CGM-Empfänger in der Hand und erklärt.
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Die Meilenschritte, die die Diabetes-Therapie in den letzten Jahren genommen hat, sind gewaltig. Folglich hat die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) nun mehrere Leitlinien grundlegend überarbeitet. Darunter befindet sich die wichtige S3-Leitlinie „Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle des Diabetes mellitus im Kindes- und Jugendalter“, die erstmalig im Jahr 2009 aufgelegt und im Jahr 2015 zuletzt aktualisiert wurde. Solche medizinische Leitlinien geben Empfehlungen, wie eine Erkrankung festgestellt und behandelt werden sollte, wobei „S3“ besagt, dass die Leitlinie die höchste methodische Qualität hat.

Die 2023 erschienene Leitlinie richtet sich an alle Berufsgruppen, die Kinder und Jugendliche mit Diabetes betreuen und mit der Erkrankung befasst sind, etwa: Diabetolog*innen, Endokrinolog*innen, Pädiater*innen sowie Organisationen wie Krankenkassen, Medizinischer Dienst, Bildungs- und Betreuungseinrichtungen – aber auch Betroffene und Angehörige selbst. Sie berücksichtigt dabei alle Besonderheiten und Formen der chronischen Erkrankung im Kindes- und Jugendalter und gibt Empfehlungen für das gesamte Spektrum der pädiatrischen Diabetologie. Auch werden Besonderheiten der verschiedenen Altersgruppen berücksichtigt.

Eine Leitlinie ist für den behandelnde Arzt bzw. die behandelnde Ärztin nicht bindend, gibt aber Orientierung bei Diagnostik, Therapie und Betreuung auf Grundlage des heutigen Wissens. Sie berücksichtigt sowohl die Neuentwicklungen auf dem Gebiet der Diagnostik und Therapie des Diabetes mellitus als auch jüngste wissenschaftliche Erkenntnisse, klinische Erfahrungen und Expertenwissen.

Schon die Herangehensweise war bei dieser Leitlinie neu: Aufgrund der gestiegenen Anforderungen wurde beispielsweise die Anzahl der Leitlinien-Mitarbeiter*innen respektive Kapitelautor*innen erweitert. Zudem wurden weitere Berufsgruppen eines Diabetesteams einbezogen. Auch haben sich die methodischen Anforderungen zur Erstellung und Aktualisierung einer S3-Leitlinie in den letzten Jahren durch die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), dem deutschen Dachverband der medizinischen Fachgesellschaften, intensiviert.

CGM, Pumpe & AID für alle

Insbesondere die technischen Neuerungen bei den Glukosesensoren, die sich seit der letzten Fassung ergeben haben, machten das Update erforderlich. Die moderne Diabetes-Technologie ist folglich ein Schwerpunkt in der neuen Leitlinie. Denn die kontinuierliche Glukosemessung (CGM) hat das Potenzial, das tägliche Diabetesmanagement zu erleichtern – vor allem in Kombination mit Insulinpumpen und deren Steuerungsalgorithmen in den AID-Systemen.

„Für junge Menschen mit Diabetes und ihre Familien ergeben sich dank des großen technischen Fortschrittes auch Erleichterungen bei der Integration und Teilhabe in Kita und Schule durch eine bessere Stoffwechselkontrolle und neue Möglichkeiten, zum Beispiel Follower-Funktion, Alarme und anderes“, so Leitlinien-Koordinator Dr. med. Martin Holder.

Denn die Auswirkungen einer Diabeteserkrankung betreffen laut DDG nicht nur das Leben der jungen Patient*innen selbst: Meistens tragen Eltern enorm zur Pflege und Behandlung bei. Das stellt eine oft erhebliche Belastung dar, die teils auch finanzielle Einbußen bedeutet. Immerhin müssen einige Elternteile ihre berufliche Tätigkeit reduzieren, um eine Betreuung in Kita oder Schule sicherzustellen. Die Integration moderner Technologien wie Insulinpumpen, CGM- und AID-Systemen können gerade in diesen Fällen eine wirksame Unterstützung bieten.

Wenn möglich, sollten daher laut der Leitlinie allen Kindern und Jugendlichen mit einer Insulinpumpe auch CGM- und AID-System angeboten werden. „Da diese Technologien eine weitgehend uneingeschränkte und altersgerechte Integration bei gleichzeitig guter Kontrolle des Blutzuckers ermöglichen, empfehlen wir, sie nach Möglichkeit allen Kindern und Jugendlichen anzubieten", begründet Holder.

Weitere Neuerungen

Einige Kapitel wurden gegenüber der Vorgängerversion erweitert, etwa „Andere Diabetesformen“, „Psychologische und soziale Risiken“, „Komorbiditäten“ sowie „Diabetes und Sport“. Andere Themenbereiche haben ein eigenes Kapitel erhalten – so wie etwa „Ernährungstherapie“ und „Management bei akuten Erkrankungen und Operationen bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes“. Zudem erweitert die aktualisierte Leitlinie die Themen „Telemedizin und Videosprechstunde“ sowie „Risikofaktoren, Früherkennung und Prävention“.

„Auch die wichtige Phase der Transition wird jetzt in einem eigenen Kapitel behandelt“, ergänzt Leitlinien-Koordinator Dr. med. Ralph Ziegler. Damit ist der Übertritt von Jugendlichen von der pädiatrischen zur erwachsenen Gesundheitsversorgung gemeint, der in einem ohnehin schon instabiler Lebensabschnitt stattfindet: Durch neue Prioritäten, Berufseinstieg, Wohnortwechsel und weniger Unterstützung durch die Eltern beim Krankheitsmanagement kann der Diabetes schonmal aus dem Blick geraten.

„Die Leitlinie gibt nun wertvolle Empfehlungen dazu, wie junge Menschen adäquat und bestmöglich behandelt werden können, sodass sie möglichst ein Leben ohne Einschränkungen führen können und eine optimale Betreuung erhalten“, sagt Ziegler, der nicht nur an der Kinder- und Jugend-Leitlinie, sondern auch an der Leitlinie zum Typ-1-Diabetes der Erwachsenen beteiligt war, die ebenfalls 2023 aktualisiert wurde.

Die vollständige Leitlinie kann als pdf-Dokument auf der Website der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) heruntergeladen werden.

 

Quellen: DDG; AWMF Online

 

Text: Susanne Löw