Bettina M. (49) – Typ 2-Bloggerin

Bettina M. (49) – Typ 2-Bloggerin
Bettina M.

Rote Karten verheissen nichts Gutes. Bettina erhält ihre im April 2013 - von ihrem Hausarzt. Der verordnet ihr wegen ihres Burnouts eine vierwöchige Reha in einer psychosomatische Klinik. Zu dem Zeitpunkt wiegt sie 132 kg, ist adipös, kann kaum noch Spaziergänge machen, die Knie schmerzen und schon lange hat sie wenig Freude, sich außerhalb ihrer 4 Wände zu zeigen. Ihr starkes Übergewicht hat zur sozialen Isolation geführt, weil ihr Umfeld sie ignorierte und sie sich selbst immer weniger motivieren konnte. In der Klinik erhält sie pyschologische Therapiestunden, um ihre Erschöpfungsdepression zu bekämpfen, eine Folge ihres Jobs als Personalerin im Niedriglohnsektor. Jahrelang frisst sie ihren Jobfrust und Stress in sich hinein, möglichst viel, kalorienreich, eine Mischung aus fetter Kost, nährstoffarmen Kohlenhydraten und Unmengen an Süßigkeiten. Sie verdrängt die Notsignale im Kopf und wird in ihrer Sucht nach Essen immer erfinderischer. Unzählige Burger werden auf abgelegenen Parkplätzen heimlich im Auto verdrückt. Je mehr Stress, umso mehr Fraß. So sensibel Bettina anderen gegenüber ist, ihre Menschenkenntnis versagt bei sich selbst. Dass sie essgestört und süchtig ist, wird mit schauspielerischer Glanzleistung verdrängt.

Die Rettung in ein lebenswertes Leben naht mit der zweiten roten Karte, als bei einer Routineuntersuchung in der Klinik Diabetes mellitus Typ 2 diagnostiziert wird mit einem Blutzuckerwert von 339 und einem Langzeitblutzuckerwert von 9,2. Sie muss schon lange Diabetes haben, ohne es zu wissen. Der Arzt klärt sie mit der notwendigen Härte über die potentiellen Folgeerkankungen wie Schlaganfall, Erblindung oder Amputation auf. Zwei weitere Wochen Reha folgen. Heute weiß Bettina, dass diese Diagnose ihr Leben gerettet hat. Heute heißt: mit 60 kg weniger auf den Rippen und keiner Medikation mehr. „Ich habe schnell verstanden, wie die Krankheit funktioniert. Während in der Klinik die Diabetiker neben mir jeden Morgen noch drei weiße Brötchen mit Marmelade aßen, wusste ich, dass es darum ging, die Kohlenhydrate zu reduzieren und las mich in die LOGI-Methode ein, also "Low Glycemic and Insulinemic", auf deutsch "niedriger Blutzucker- und Insulinspiegel", erzählt Bettina heute. Natürlich weiß sie, dass Low Carb Ernährung nicht für jeden Diabetiker die Heilsbringung sein muss. Sie selbst entwickelt für sich das „Happy Carb“-Prinzip: Kohlenhydratreduzierte Kost in Verbindung mit regelmäßiger moderater Bewegung, Entspannung und Fürsorge für die eigenen Bedürfnisse. Konsequent und „happy“ verfolgt sie dies seit drei Jahren. Das Gewicht ging kontinuierlich nach unten, bereits im ersten Jahr verlor sie 55kg. Ihr Langezeitblutzuckerwert liegt zwischen 5,5 und 5,8, zur Kontrolluntersuchung geht sie nur noch quartalsweise. „Ich habe so viel an Lebensqualität gewonnen, denn ich brauche keine Zeit mehr in die Krankheit zu investieren“, freut sie sich.

Auch von ihrem belastenden Job hat sich Bettina getrennt. Die gewonnene Zeit steckt sie lieber in ihren Blog www.happycarb.de und das Entwickeln neuer Rezepte oder besser in das Verändern der alten Rezepte, bei denen sie einfach die Kohlenhydrate durch mehr Gemüse ersetzt. Inzwischen hat Bettina vier Kochbücher und ein Sachbuch geschrieben, auf ihrer Website bietet sie zudem Rezepte kostenlos an. Schließlich möchte sie ihr Glück, ihr Leben zurückgewonnen zu haben, gerne teilen. Auf ihrer Facebookseite hat sie über 100 000 Fans. Viele bitten sie um Rat.

Happy Carb hat Bettina quasi ihre Berufung als Menschenversteherin zurückgegeben. Und es hat sie glücklich gemacht, seitdem lächelt sie auch wieder, wenn sie in ihrer 10 000 Seelen-Ortschaft in Südhessen spazieren geht. „Ich traue mich viel mehr, ich lächle jetzt andere Menschen an. Bei der dicken Betti haben alle nur weggeschaut“, erzählt sie kopfschüttelnd. „Als Mensch wurde ich nicht gesehen, ich war praktisch unsichtbar“. Menschen, die sie damals gemieden haben und nun ihren Kontakt suchen, lässt sie heute links liegen. Oder anders gesagt: Sie zeigt ihnen einfach die rote Karte.

Nicole Mattig-Fabian, Februar 2018